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Ach, schön war‘s schon

Scherzreflex vs. Schmerzkomplex: Nach dem 1:2 gegen die routinierten Resultatsverwalter aus Manchester bleiben Leverkusens bemühter Rumpfelf immerhin noch arithmetische Hoffnungen

aus Leverkusen BERND MÜLLENDER

Ach, was war das noch schön im Vorjahr, als Leverkusen spöttisch zu Loserkusen umgetauft wurde, nur weil man dreimal tragisch Zweiter wurde und hier wie da wie dort bei so vielen grandiosen Triumphen genau einmal zu viel verlor. Der einstige Pillenclub machte Image satt und wurde Weltchampion in Mitleidszuweisungen. Jetzt wird deftig verloren, und zwar in Serie, manchmal happig, manchmal auch unglücklich wie am Dienstagabend gegen das namentlich große Manchester United. Umgehend tauchen die abgegriffenen Scherzreflexe auf: Bayer muss bittere Pille schlucken.

Krank, seelisch wie körperlich, fühlt sich Manager Reiner Calmund. Auf ihn werde „zurzeit eingeprügelt“ mit Schmähpost und Schuldzuweisungen. Aber, kleiner Scherz, er biete „ja genug Körperfläche“ (geschätzt: 3,5 Quadratmeter). Schon vor dem Spiel klagte er über „Magensausen“, und kaum hatte er David Beckham beim Abschlusstraining beobachtet, bekam er „Schwindelanfälle“. Die Aufregung im Match sorgte dann für „leichten Durchfall“.

In malader Verfassung neigt der Mensch zu Genesungshoffnungen. Calmund redete die Vorstellung fast aller Beteiligten schon Minuten nach dem 1:2 schön. „Keine haarsträubenden Abwehrfehler mehr“ hatte er entdecken können, immerhin: Ojigwe mit „ordentlicher Vorstellung“ gegen den großen Beckham. „Engagiert und gut“ der Novize Babic. Hanno Balitsch, „den wir letzte Woche noch mit ’nem Kompass in die Kabine bringen mussten, so schwindelig war der gespielt worden“, diesmal „mit sehr couragierter Leistung“. Alles in allem „toll“, besonders die „jungen Leute, gegen so ’ne abgewichste Truppe“. Frust? Nein: Es gebe „positive Aussichten“ auf Genesung.

Wegen Verkauf, Verletzung, Formschwäche oder Karriereende standen gerade mal noch vier Mann (Lucio, Ramelow, Schneider, Bastürk) aus der begeisternden Topcombo des Vorjahres auf dem Platz. Dennoch war Leverkusen die frischere Mannschaft, spielte zügig, mit gelegentlich kleinen spielerischen Leckerbissen, überragenden 63 Prozent Ballbesitz und einigen guten Chancen. Die Cleverles aus Manchester boten zwei brillante Konter, Ruud van Nistelrooy torte doppelt bei den einzigen beiden ManU-Schüssen aufs Tor. Dabei war besonders das 0:1 vermeidbar, als die Flanke des sonst erneut traurig desorientierten Argentiniers Juan Sebastian Verón allzu lange in der Luft war, Keeper Frankie Juric staunte und Hanno Balitsch unter dem Ball hersprang. Warum bloß hatte ihm Calmund den Kompass nicht mitgegeben?

Der tatsächlich kränkelnde Bayer-Trainer Klaus Toppmöller, bronchitisgeplagt und antibiotikaprall, lobte den „tollen Fight“ und sah die Seinen „nach wie vor am Leben“. Manchester gab nach der Führung mit Betonfußball die routinierten Resultatsverwalter und hatte einen Trainer Alex Ferguson, der mit dem Satz aufhorchen ließ, seine Elf habe „leider die Gelegenheiten in der zweiten Halbzeit nicht genutzt“. Gelegenheiten? Für ManU?

Im Vorjahr hatte Bayer das Quäntchen Glück, als United im Halbfinale so dramatisch ausgebootet wurde. Diesmal war das Schicksal bockig. Dem Innenpfostenkopfball von Dimitar Berbatow in Minute 86 kam dabei symbolische Bedeutung zu: alles richtig gemacht, bis auf geschätzt einen Inch, der dem Ball an Richtung fehlte, um zum verdienten Remis ins Tor statt heraus zu hüpfen. Aus dem bulgarischen Chancentod Dimitar Berbatov, der schon den Anschlusstreffer erzielt hatte, wäre der Held einer möglichen Wende für die nächsten Wochen geworden. Und das auffallend ungeduldige Publikum hätte das ständige Nörgeln, Murren und Pfeifen beenden können. Die BayArena ist derzeit das Epizentrum verwöhnter Unzufriedenheit.

So bleiben arithmetische Hoffnungen. Weil Haifa gegen Piräus gewann, hat Bayer trotz zweier Niederlagen in seiner Vorrundengruppe „noch eine kleine Chance“, so Carsten Ramelow. „Wir waren auch im Vorjahr schon mehrfach abgeschrieben“, sagt Toppmöller, „bevor wir durchgestartet sind.“ In der Bundesliga kommen am Samstag die Bayern. Ein Sieg gäbe die Kraft der Illusion. Eine Niederlage (und damit 14 Punkte Rückstand) bedeutete schon nach dem 7. Spieltag das definitive Ende aller Titelhoffnungen. Selbst das Gewohnheitsrecht auf den schönen zweiten Platz wäre außer Kraft.

Bayer 04: Juric - Zivkovic, Ramelow, Lucio, Ojigwe (64. Simak) - Schneider, Balitsch (81. Franca), Bastürk, Babic, Brdaric - Neuville (22. Berbatow)Manchester United: Barthez - O’Shea (46. Gary Neville), Ferdinand, Blanc, Silvestre - Beckham, Phil Neville, Butt, Veron (88. Solskjaer), Giggs - Van Nistelrooy (46. Forlan)Zuschauer: 22.500 (ausverkauft)Tore: 0:1 Van Nistelrooy (31.), 0:2 Van Nistelrooy (44.), 1:2 Berbatow (52.)

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